Das Projekt Swallow
Vortrag von Dr. Manfred Wolf über den Weg von Schlesien nach Westfalen 1946
Vortrag von Dr. Manfred Wolf über den Weg von Schlesien nach Westfalen 1946
Die GhL lädt in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Epe e.V. herzlich zum nächsten Vortrag am 20. November 2008 nach Gronau-Epe in den Pfarrhof ein. Es spricht Dr. Manfred Wolf zum Thema „Das Projekt Swallow. Der Weg von Schlesien nach Westfalen im Jahre 1946“.
„Die deutschen Einwohner in unserem Dorf wurden in den frühen Morgenstunden des 18. März 1946 darüber informiert, dass sie sich innerhalb von zwei Stunden mit ihrem Gepäck im Gasthaus des Ortes einzufinden hätten. Der polnische Bürgermeister hatte dort die größte Amtshandlung seines Lebens durchzuführen. Rückendeckung gaben ihm einige Milizionäre, die aber sonst nicht in Erscheinung traten. Es gab kein lautes Wehklagen, keine Proteste, keine Schimpferei. In jedem Haus musste im Hausflur eine Liste der Hausgenossen ausgehängt werden; so war es für den Bürgermeister wohl nicht schwer, eine Liste der Dorfbewohner zu erstellen. Pferd und Wagen standen zum Transport des Gepäcks bereit.
Die Dorfbewohner hatten den Weg von etwa 10 km zum Sammelpunkt Mittelwalde/Miedzylesie zu Fuß zurückzulegen. Die polnische Bevölkerung blieb beim Auszug der Deutschen im Hintergrund. Es gab keine offenen Bekundungen des Mitgefühls, aber auch nicht der Schadenfreude. […]
Die Fahrt durch die sowjetische Zone verlief bei unserem Transport ohne Zwischenfälle mit Ausnahme ihres Endes. […] Die Russen verzichteten nicht auf eine letzte Kontrolle. So wurde auch bei unserem Waggon die Waggontür aufgezogen, ein russischer Soldat leuchtete mit einer Taschenlampe über die im Dunkel befindlichen Insassen, verschwand aber zu aller Erleichterung wieder. Unerwartet setzte sich der Zug dann ohne Signal wieder in Bewegung. Er fuhr an den am Rande des Bahndamms stehenden unglücklichen Insassen von Waggon Nr. 4 vorbei. Obwohl sie jämmerlich schrieen, konnte niemand etwas für sie tun. Anscheinend waren nicht alle Russen mit der Weiterfahrt des Zuges einverstanden, und sie schossen mit ihren Maschinenpistolen wie wild in die Luft.
Am Nachmittag des 21. März 1946 wurde für den Weitertransport in Alversdorf ein neuer Zug bereitgestellt. Er bestand zur Hälfte aus Personenwaggons, zur Hälfte aus Güterwagen. Erstere waren sehr schnell besetzt. Der Zug fuhr die gesamte Nacht über Hannover, Minden, Osnabrück und Rheine. In Maria Veen traf er am frühen Morgen ein. Es war der 22.
März, der Todestag des Kardinals von Galen. Der erste Eindruck vom Münsterland war nicht sehr einladend. Es war nasskalt. Es trug nicht zum Wohlbefinden bei, dass die Ankömmlinge zum großen Teil aus dem Schlaf aufgeschreckt worden waren. Sie hatten sich zu Fuß zum etwa 1 km entfernten Gebäude der Arbeiterkolonie zu begeben. Es war ein im preußischen Baustil der Jahrhundertwende erbautes Gebäude aus rotem Backstein mit der anheimelnden Atmosphäre einer Kaserne.
Am Sonntag, dem 24. März 1946, wurde gegen Mittag unsere Gruppe ohne vorherige Ankündigung aufgefordert, sich mit Gepäck wieder zum Bahnhof in Maria Veen zu begeben. Dort stand eine Lokomotive mit zwei Güterwagen bereit. Diese waren gerade ausreichend zum Transport unserer Dorfgemeinschaft, die trotz des Durchlaufens von drei Lagern nicht getrennt worden war. Dies war kein Zufall, sondern offensichtlich Prinzip bei der Aufteilung der Vertriebenen, und galt auch für die Angehörigen anderer Dörfer. So erhielt jedes Dorf der Aufnahmegemeinden zu einem gewissen Prozentsatz den Kern der Einwohner eines früheren ostdeutschen Dorfes. Für die Vertriebenen war dieses Zusammenbleiben zweifelsohne hilfreich für die ersten Jahre in ihrer neuen Heimat. In der Schule erschien dann bald der Bürgermeister mit seinem Vertreter. In der Hand hielt er die Liste, auf der verzeichnet war, welchem Bauern die Aufnahme von „Flüchtlingen“ zuzumuten war bzw. wer dazu bereit war. Man kann sich leicht vorstellen, dass niemand über eine solche Einquartierung erfreut war. Doch nur einer der vorgesehenen Gastgeber sperrte sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen.“
So haben nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen von Menschen ihre alte Heimat verloren und ihre neue gefunden. Wie es dazu kam und wie es im einzelnen ablief, erzählt in seinem Vortrag der Historiker und Zeitzeuge Dr. Manfred Wolf.
Der Vortrag findet im Pfarrhof St. Agatha, Gronau-Epe, Agathastr. 36, in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Epe e.V. statt. Beginn ist um 19.30 Uhr.
Vgl. den Aufsatz „Operation Swallow. Der Weg von Schlesien nach Westfalen im Jahre 1946“ von Manfred Wolf in der Westfälischen Zeitschrift, Bd. 156 (2006), S. 117-138.
Vor dem Vortrag, ab 19 Uhr, verleiht die Gesellschaft für historische Landeskunde zum dritten Mal ihren Preis für Nachwuchsforscher an Schüler und Schülerinnen. Den ersten Preis erhält Robin Hermes vom Kopernikus-Gymnasium Rheine für seine Arbeit „Tradition und Propaganda. Kindheit und Jugend zwischen Schule, Kirche und Nationalsozialismus in Dreierwalde“. Der zweite Preis geht an Franka Vehlken vom Gymnasium Remigianum in Borken, einen Sonderpreis erhalten vier ehemalige Schülerinnen der Overberg-Hauptschule in Reken.
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